Freihandel: Hilfreich bis skandalös. Was der Mittelstand über TTIP denkt

Bringt das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA Vorteile für kleine und mittlere Unternehmen? Oder profitieren nur die großen Konzerne von der Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz: TTIP? Selten war ein internationaler Vertrag so umstritten.

Es ist bereits die 12. Runde, in der die Europäische Union und die USA miteinander verhandeln.  Dabei ist die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) eine von vielen: 30 solcher Abkommen hat Deutschland bereits, z.B. mit der Schweiz, Zentralamerika oder Südkorea. Das Ziel: Handelshemmnisse abzubauen und damit die Kosten für exportierende Unternehmen zu senken. Hört sich plausibel an – aber die Meinungen über TTIP gehen besonders weit auseinander.Und das, obwohl – oder gerade weil – keiner genau weiß, was in den Dokumenten zum Abkommen drin steht. Denn die sind bisher geheim.

Kritiker monieren die Intransparenz der Verhandlungen schon lange. 250.000 Menschen gingen am 10. Oktober 2015 in Berlin gegen TTIP auf die Straße. Für die europäische Bürgerinitiative gegen das Freihandelsabkommen haben innerhalb eines Jahres über drei Millionen Menschen unterschrieben. Auf der anderen Seite klingen manche Prognosen aus Wirtschaftskreisen vielversprechend: Das Ifo-Institut in München schätzte die langfristigen Handelsgewinne aus dem geplanten Abkommen für Deutschland auf 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch was bedeutet TTIP für den Mittelstand?

Chancen für KMU: Erleichterter Export

Die Chancen des Freihandels für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) liegen vor allem in der Erleichterung von Exportmöglichkeiten. KMU könnten durch weniger Bürokratie einfacher neue Märkte für Waren und Dienstleistungen erschließen, durch weniger Zölle günstiger und schneller Handel treiben und mit gleichen Standards z.B. für Technik und Hygiene arbeiten. Wettbewerbsregeln und gesetzliche Fragen – etwa zum Recht am geistigen Eigentum – könnten einheitlich festgelegt werden.

Gerade deutsche Mittelständler, die zu den Weltmarktführern zählen, können von diesen Neuregelungen stark profitieren. Die USA ist für deutsche Unternehmen der zweitwichtigste Absatzmarkt, vor allem in den Branchen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau und Pharma. „In Deutschland hängt jeder vierte Arbeitsplatz am Export, in der Industrie jeder zweite“, sagt Dr. Stormy-Annika Mildner, Leiterin der Abteilung Außenwirtschaftspolitik des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI).

Weniger Kosten für Zölle und Doppeltests

Bei exportfreudigen Branchen könnten auch kleinere Zuliefererbetriebe vom Abkommen profitieren. Der damalige Vorstandsvorsitzende von BMW, Norbert Reithofer, schätzte 2014 die jährlichen Kosten der deutschen Autoindustrie für Zölle zwischen EU und USA auf eine Milliarde Euro. Der Automobil-Verband VDA votiert deshalb für TTIP: Komponenten wie Außenspiegel, Lenkradhebel, Sitzgurte und Bremsanlagen müssten dann beim Export in die USA nicht mehr doppelt gebaut und getestet werden. Das würde Kosten sparen und eine größere Produktauswahl ermöglichen. „Die Auflassung von Handelsbeschränkungen und die Verständigung bei künftigen Standards ist für den Mittelstand von höchster Bedeutung“, fasst auch Dr. Yorck Otto, Präsident der Union Mittelständischer Unternehmen (UMU), die positive Stimmung seiner Mitglieder zusammen.

Doch die meisten KMU in der EU profitieren nicht vom Freihandel, weil sie gar nichts ausführen: Von den 21,2 Millionen KMU exportieren nur ca. 600.000 außerhalb Europas, nur 150.000 in die USA. Den Großteil des europäischen Exportgeschäfts (72%) mit den USA bestreiten dagegen 19.000 Großunternehmen. Die vom BDI in einem Pro-TTIP-Video als profitierende Beispiele vorgestellten „Mittelständler“ sind der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf (10.800 Mitarbeiter) und der Automobilzulieferer Bosch (290.000 Mitarbeiter).

Standards als Schlüsselfrage

Jürgen Chrobog, Staatssekretär a.D. und Senator des Verbands UMU, fragt dagegen nicht nach dem ob sondern dem wie: „Mit diesem Abkommen besteht möglicherweise zum letzten Mal die Möglichkeit für uns Europäer an dieser Gestaltung mitzuwirken“. Zwar sind die US-Vorgaben z.B. in der Pharmaindustrie oder bei Spielzeugen teils stringenter als die in Europa. Doch Chrobog hält die Sorgen von Gegnern bezüglich der Normenangleichung für gerechtfertigt: „Ob sich in den Verhandlungen jeweils der höhere verbraucher-, arbeitnehmer- und umweltfreundlichste Standard durchsetzt wird, ist zweifelhaft“.

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die EU sich durchaus schon für die liberale US-amerikanische Sicht entschied. So konnte sich bei der Debatte um transgenen Mais die US-Agrarlobby durchsetzen: Trotz Widerständen in Europa ist der Anbau inzwischen erlaubt. Noch dürfen einzelne Staaten ein Verbot aussprechen, ohne Klagen von Bauern wegen Berufsbehinderung befürchten zu müssen.

Ein weiterer berechtigter Einwand: „Im Bereich Arbeitsschutz und Umweltschutz sind wir erheblich weiter“, sagt Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand beim Mittelstandsbund. „Mit der vorliegenden Form von TTIP ist zu befürchten, dass hohe Qualitätsstandards, für die gerade der Mittelstand in Deutschland steht, der Harmonisierung zum Opfer fallen“, sagt Ulrich Walter vom Bio-Handelsunternehmen Lebensbaum, der Mitgründer der „KMU gegen TTIP“-Initiative ist. Besonders kleine und mittlere Betriebe, die sich häufig für die Region und damit auch für deren Menschen und Natur engagieren, würden durch die engen Strukturen internationaler Abkommen gefährdet. Die Initiative fordert deshalb u.a. eine Stärkung von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards, der bäuerlichen Landwirtschaft und den umfassenden Schutz von regionalen Herkunftsnachweisen.

Staaten versus Konzerne: Schutz für Großinvestoren

Der am stärksten umstrittene Punkt bei TTIP betrifft das geplante Investitionsschutzabkommen. Damit könnten internationale Konzerne durch private Schiedsgerichte die rechtsstaatlichen Verfahren umgehen. Ursprünglich war dieses Instrument für Verhandlungen mit Ländern ohne verlässliches Rechtssystem gedacht – für die EU und USA als gleichberechtigte Partner also überflüssig, monieren Kritiker. Sie ärgert besonders die fehlende Transparenz, weil die Schiedsverfahren streng vertraulich sein sollen.

Multinationale Konzerne könnten „mit der Regulatorischen Kooperation zukünftig im Vorfeld aktiv in die Formulierung von Gesetzestexten einzugreifen. Dies kommt einer Entmachtung der Parlamente gleich“, gibt etwa Gottfried Härle von der mittelständischen Brauerei Clemens Härle KG zu bedenken. Die USA werden als größter internationaler Investor an dieser Regelung festhalten und haben sie auch schon im Investitions- und Handelsabkommen mit Kanada vereinbart.

Handelsöffnung mit Transparenz

Fest steht, dass TTIP weitreichende Folgen hat – auch für den Rest der Welt. Denn die USA und die EU erbringen zusammen etwa 46 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Viele deutsche Mittelständler haben das Freihandelsabkommen TTIP zwar noch gar nicht auf der Agenda,andere Themen wie Asyl- und Außenpolitik überlagern die mediale Berichterstattung. Doch „es wird sich eine Menge ändern“, meint Marc Tenbieg vom Mittelstandsbund. Der Handel verläuft über Grenzen hinweg, mit zu großen Hürden könnte Europa den Anschluss verlieren. Deshalb sind Vereinbarungen, die den Handel erleichtern, grundsätzlich nicht abzulehnen.

Zentral für ein faires Abkommen bleibt jedoch die Transparenz der Vereinbarungen, die der Mittelstandsbund, die UMU, wie auch der Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert und viele andere fordern. „Die Zusammenarbeit müsste so geregelt werden, dass die Mitspracherechte der Parlamente und der Zivilgesellschaft gewahrt werden“, gibt auch Mittelständlerin Ulrike Saade von der Velokonzept GmbH zu Bedenken. Doch solange nicht einmal der Deutsche Bundestag die Gelegenheit erhält an Informationen zu kommen, behalten die Verhandlungen den Beigeschmack einer Gerüchteküche.

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